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🥼 Was ist ein Minimum Viable Product (MVP) ?

🥼 Was ist ein Minimum Viable Product (MVP) ?

Ein Minimum Viable Product (MVP) ist ein Experiment, mit dem man seine Annahmen bzgl. des Produkts prüft und lernt, was die Kunden brauchen und wollen.

Stefan Harms

Die Frage was ein Minimum Viable Product (MVP) ausmacht, habe ich vor zwei Jahren auf der Lean Startup Conference 2018 in der Session "Mastering Experiment Design" erst richtig kennengelernt. Dort haben wir mit Giff Constable, dem Autor von "Talking to Humans", und Elliot Susel haben wir darüber diskutiert.

Minimum Viable Product (MVP) kann man mit "Minimales brauchbares Produkt" übersetzen. Von Hinten nach Vorne:

  1. Produkt: also etwas, mit dem ein Kunde interagieren kann.
  2. Viable: der Kunde muss einen (!) Nutzen aus der Interaktion ziehen müssen.
  3. Minimum: der wichtigste Punkt. Ein MVP ist dann minimal, wenn man nichts mehr wegnehmen kann, ohne dass der MVP nicht mehr funktioniert.
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Zusammengefasst: Ein MVP ist ein sehr fokussiertes Kundenangebot, bei dem der Kunde Nutzen gegen Invest (Zeit, Daten, Geld) tauscht, der einen Teilaspekt des Zielangebot prüft.

Der MVP im Lean Startup ist immer auch lean zu verstehen und deshalb gilt "wie bekomme ich die gleiche Aussage für die Hälfte?" auch wieder.

Die Kurve der Wahrheit

Jeder MVP ist verschieden. Deshalb kann man einen MVP nur anhand der Funktion definieren, denn wie ein MVP genau aussieht, hängt davon ab, wieviel man schon über die Lösung des Kundenproblems weiß und welche Mittel man zur Verfügung hat. Cliff nennt das "Die Wahrheitskurve" (The Truth Curve). Sie trägt die Glaubwürdigkeit der Lösung oder des Produkt über dem Aufwand zur Erstellung des MVP's auf. Zwischen reiner Fantasie (links) und dem fertigen Produkt (rechts) gibt es zahlreiche Abstufungen.

Die Kurve der Wahrheit (Stefan Harms, nach Gliff Constable)
Die Kurve der Wahrheit (Stefan Harms, nach Gliff Constable)

Links am Anfang der Aufwandsleiste ist man noch ganz am Anfang der Entwicklung und hat entsprechend wenig vorzuweisen, ganz rechts am Ende der Aufwandsleiste steht das fertige Produkt oder der fertige Dienst. Mit dem maximalen Aufwand erzeugt man maximale Glaubwürdigkeit der Dienstleistung.

Es ist aber eigentlich nie sinnvoll, so viel Aufwand zu investieren, weil man nach Lean Startup eigentlich nie weiß, was das eigentliche Produkt am Ende sein wird. Die einzelnen Experimente mit den MVP's macht man ja, um noch Annahmen zu prüfen.

Übersicht über die verschiedenen MVP's

Interview

Der MVP mit dem geringsten Aufwand ist das Interview. Die Stärke des Interview liegt eigentlich darin, qualitative Rückmeldungen zu bekommen, also Gefühle und direkte Reaktionen. Als MVP hat das Interview die Stärke, mehr über die Probleme der Nutzer zu lernen, als wenn man mit mehreren Grundannahmen in Rennen geht. Bei Interview ist es besonders wichtig, die Annahme und die Fragen sorgfältig zu wählen, damit man keinen Bias direkt einbaut.

Paper testing

Als nächster MVP folgt das "paper testing". Bei Testen mit Papier beschränkt man sich bewußt auf Prototypen, die man aus Papier und Pappe basteln kann. Dadurch kann man sehr viel iterieren und viele verschiedene Prototypen austesten. Das kann eine gezeichnete Visualisierung einer App oder eine Katalogseite oder auch schon Muster aus Papier sein. Wie beim Interview stellen die Innovatoren den MVP direkt den Kunden vor und erklären ihn kurz. Die Reaktion und die Rückmeldungen der Tester erfolgt dann wie im Gespräch.

Online Werbung

Weiterhin kann man für sein Produkt mit seinem Slogan Werbung schalten. Am einfachsten und am meisten Erfolg verspricht das, wenn im Internet bei Facebook oder über Google Annoncen schaltet. Über die Reichweite und die Rate, mit der Kunde auf die Anzeige reagieren, kann man für wenig Geld schnell herausfinden, ob man die Kunden erreicht und ob die Kunden auf den Slogan reagieren.

Button to Nowhere

Mit dem "Button to Nowhere" prüft man, ob ein bestimmtes Feature überhaupt von den Kunden verstanden und genutzt wird. Wenn man testen will, ob Kunden eines Email-Dienstes ein Feature zum Sortieren der Email nach Absender nutzen, kann man einfach einen Button zum Sortieren einbauen. Ein Klick auf den Button führt aber nicht die erwartete Funktion aus, sondern erhöht einfach einen Zähler. Damit kann man Annahmen überprüfen, ob Kunden neue Features überhaupt brauchen.

Landing Page

Einen Schritt glaubhafter ist dann der MVP Landing Page. Auf einer Landing Page landet (sic.) man, wenn man entweder in der Suchmaschine nach bestimmten Schlüsselworten sucht oder einer Werbung zum Beispiel im Facebook oder Instagram gefolgt ist. Die Landing Page hat die Aufgabe, den Kunden vom "Produkt" zu überzeugen und dazu zu bringen, sich für eine Warteliste anzumelden, oder einen Newsletter zu abonnieren oder ein Produkt vorzubestellen. Damit zeigt der Kunde echtes Interesse für ein Produkt oder eine Dienstleistung. Das ist schon ein starker Indikator für den Produkt/Markt-Fit.

Task Completion

Der MVP Task Completion ist eine Unterdomäne der User Experience-Forschung. Sehr salopp zusammengefasst: der Nutzer bekommt eine Aufgabe und man beobachtet, wie der Nutzer die Aufgabe löst. Im Design von Abläufen in einer Software stellt man verschiedene Wege, wie man zum Ziel kommt, zum Beispiel "Export des Dokuments" und beobachtet dann die Kunden.

Prototyp

Der prototypische MVP ist ein Prototyp. 😉Das heißt, normalerweise versteht jeder unter MVP nur den Prototyp. Ein Prototyp stellt schon eine frühe Version des Produkts dar, bei dem schon der Mehrwert generiert werden kann, aber noch Teile fehlen, wie zum Beispiel Nutzermanagement oder Support oder noch eine nicht finale Optik. Der Kunde kann den Prototyp schon einsetzen und erste Erfahrungen sammeln.

Vorverkauf

Wo sich der Prototyp von der technischen Seite der Lösung nähert, pirscht sich der Vorverkauf-MVP von der Marketing- bzw. Verkaufssicht an. Ganz modern ist aktuell Crowd-Funding ein ganz typischer Vertreter des Vorverkauf. Die Kunden bezahlen vorher und nachher wird das Produkt entwickelt, produziert und ausgeliefert.

Concierge

Mein Liebling unter den verschiedenen MVP's ist der Concierge-MVP. Concierge kommt aus dem Französischen steht für Hausmeister, aber hat eher was mit dem Portier zu tun, der für einen Gast Beschaffungen machen kann. Ein Concierge-MVP ist typisch für Technologie-Startups. Die gehen davon aus, dass eine bestimmte Handlung besser durch Technologie ausgeführt werden kann. Aber bevor man die entwickelt, testet man zuerst, ob dafür Bedarf besteht: man bietet Kunden die Dienstleistung an und erfüllt sie dann nicht durch Technik, sondern manuell. Dadurch lernt man, ob die Geschäftsidee funktioniert. Natürlich skaliert der manuelle Ansatz schlecht (ist ja auch nur ein MVP).

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Der berühmteste Concierge-MVP aller Zeiten - zumindest für mich - ist der Start der Firma Zappos. Die Gründer wollten die Annahme: "Kunden kaufen Schuhe online." prüfen. In den Zeiten von Zalando (übrigens eine Kopie von Zappos aus dem Haus Rocket Internet) stellt man sich diese Frage überhaupt nicht mehr. Aber um das zu prüfen, sind die Gründer in Schuhgeschäfte gegangen und haben Fotos von den Schuhen gemacht. Diese haben sie online auf zappos.com zum Verkauf gestellt. Wenn ein Kunde dann ein Paar Schuhe online gekauft hat, sind die Gründer in das Schuhgeschäft gegangen und haben die Schuhe gekauft und dann an die Online-Käufer verschickt.

Wizard-of-Oz

Der letzte MVP in der Reihe ist der "Wizard of Oz"-MVP und basiert auf der Geschichte von "Alice im Wunderland". Im Märchen von Lewis Carrol trifft Alice den Zauberer von Oz, den sie aber nur hinter einem Vorhang erblickt. Genauso wird dem Nutzer des Wizard Of Oz-MVP vorgegaukelt, dass der Dienst schon vollständig fertig ist, aber hinter der Oberfläche werden Teile der Funktion noch manuell und von Menschen durchgeführt.

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Ein Wizard-of-Oz-MVP war das von Joko Winterscheidt unterstützte Unternehmen "Gobutler". Kunden konnte über SMS unter anderem einen Arzt-Termin vereinbaren. Das Produktversprechen von Gobutler war, dass das über Künstliche Intelligenz funktioniert, in Wirklichkeit wurden die Nachrichten in einem Call-Center bearbeitet und die Termine beim Arzt wurden am Telefon für die Kunden vereinbart.

What's next?

Es bleibt eigentlich nur noch die Frage, wann setze ich welchen MVP-Typus ein. Das werden in einem der nächsten Artikel klären.

Photo by Kelly Sikkema on Unsplash

Affilate-/Werbelink: Talking with Humans*

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